Freitag, 19. März 2010

Ich sehe nicht wie ein Coiffeur aus, ich mache es einfach gern


Ich sehe nicht wie ein Coiffeur aus, ich mache es einfach gern Marc Menden, animiert von Thomas Haemmerli

Mad Hairstyling History Series Blog:


Coiffeur war schon mein Vater. Er war aus Deutschland eingewandert und eröffnete einen
Salon an der Birmensdorferstrasse. 1964 bin ich auf die Welt gekommen und mehr im Salon
als in der angeschlossenen Einzimmerwohnung aufgewachsen. Nachts stand im Salon
auch mein Bettchen. Meine Mutter war Telefonistin und wenn ich als Kind 111 wählte, war sie
direkt dran. Später ging es uns dann sehr gut. Mein Vater hatte einen Salon an der
Zürichbergstrasse und als umtriebiger Mensch organisierte er alle zwei Jahre den
Eurokongress für Coiffeure. Mich faszinierte als Junge CB-Funken. Ein „Schnurri“ war ich
schon immer und obendrein interessierte mich Technik.

Mit 13 hatte ich meinen ersten Job als Ausläufer auf Rollschuhen, und mit 14 machte ich meinen ersten Ha arschnitt. Schulisch
war ich nicht gerade eine Leuchte. Ich fehlte viel, habe dann aber an der Handelsschule
erstes kaufmännisches Rüstzeug erworben. Meine Freunde waren Gymnasiasten und mit
denen war ich in der 80er-Jugendbewegung. Ich war sogar an der ersten Demo, die zum
Opernhauskrawall führte, mit dabei. Ich gehörte zur Schülergewerkschaft und half im AJZ
die Bar bauen.

Es gab damals einen 100'000-Franken-Umbau-Kredit von der Stadt, der
verbaut sein wollte. Ich gehörte voll zur Bewegung, war aber Pazifist und deshalb gegen
Gewalt. Das hängt damit zusammen, dass ich als Kind jähzornig war. Ich habe Judo
gemacht, Eishockey gespielt, konnte mit einem Messer und dem Nunchaku umgehen.
Kommt noch meine Körpermasse hinzu, und bei all dem ist es nicht ratsam, jähzornig zu
sein. Ich lernte, dass ich mich nicht von andern fernsteuern lassen darf, indem ich mich
provozieren lasse. Zum Pazifismus hat mich auch die Literatur geführt. Und wichtig war für
mich Musik. Besonders mochte ich Ska und Punk, ich schwärmte für Rude Boy Kultur, für
Redskins und Mods. Ich hing herum in der Roten Fabrik und vor dem Kontiki mit den
damaligen Skins. Das war politisch recht unbedarft, und mich zog die linke Skin-Traditon an.
Erst später kamen dann aus Luzern Nazi-Skins nach Zürich, die Heil Hitler gröhlten.
Gleichzeitig machte ich meine Coiffeurelehre und wusste, dass ich ins Ausland wollte.

Nachder Lehre war ich ein halbes Jahr in Paris und über zwei Jahre in London. Dort habe ich mich neu definiert. Ich kam kurz bevor Acid losging. Mich faszinierte der ganze Post-Punkstyle,
das Androgyne, die Rüschenhemden, überhaupt die aktuellen Fashiontrends. Ich stürtzte
mich aber auch in die Arbeit. Es gibt in angesagten Grossstädten immer zehn Andere, die
deinen Job auch machen wollen. Mit meiner soliden Schweizer Ausbildung hatte ich einen
Vorteil: Ich wusste Bescheid über Kaufmännisches, über Schnitte und über die Chemikalien,
die man benutzt, und so wurde ich nach drei Monaten Geschäftsführer. Ich war 21 und hatte
17 Mitarbeiter, sodass ich ziemlich schnell ziemlich viel über Führung lernte. Man braucht
eine starke Persönlichkeit und muss klar durchgeben können, dass etwas so und so ist. Und
nicht anders. Es gehört aber auch dazu, dass man sich Kritisieren lässt. Ich pflege einen
partizipativen Führungsstil. Ich erkläre meinen Mitarbeitern immer, dass ich den Rahmen zur
Verfügung stelle und dass sie ihren Lohn selbst erwirtschaften müssen. Der Lohn ist etwa 40
Prozent des Umsatzes. Wir haben ein lineares Lohnsystem. Wenn jemand 10 000 Umsatz
macht, hat er 4000 Stutz, wenn er mehr macht, verdient er auch mehr.

Das Ziel ist, dass man so auf vier bis fünf Tausend Lohn kommt. Das heisst man sollte 10'000 Franken Umsatz erreichen, was bedeutet: An 20 Arbeitstagen im Schnitt fünf Kunden bedienen. Haareschneiden können viele. Man muss sich aber fragen, was der Kunde erwartet. Ich glaube,
der Kunde will immer gleich behandelt werden, er muss wissen, was ihn erwartet. Deshalb
braucht es ein Anfangsritual, dass immer gleich abläuft. Man muss einen Kunden gleich am
Anfang abholen, damit er sich wohl fühlt.

Manche Leute glauben ja, jede Flasche könne Coiffeur werden. Und lange haben
Berufsberater einer Oberschülerin, die sich gerne schminkte und keinen Schimmer hatte,
was sie werden wollte, gesagt: Coiffeuse - das wäre was für Sie!
Das Image des Job hängt aber auch damit zusammen, dass Haare so schnell
nachwachsen. Wäre das Ha arwachstum so langsam, dass man nur alle sieben Jahr zum
Coiffeur ginge, es bräuchte für den Job einen Doktortitel. Das wäre wie zum plastischen
Chirurgen zu gehen. Ein Schnitt würde 7000 Stutz kosten. Der Job hat sich aber verändert.
Ich hatte noch keinen einzigen Lehrling, der nicht wenigstens die Sek hatte. Einen Lehrling
habe ich immer, weil ich gerne etwas weitergebe.

Bei den Italos ist Coiffeur ein cooler Job, denn dort holen sich alle den Dorfklatsch. Bei uns
war’s früher so, dass man anrufen konnte, und dann wusste man, wo die illegalen Bars
waren. Abgesehen davon, dass wir im Keller selber eine betrieben. Dass mad zur Szene
gehörte, das ergab sich wie von selbst. Ich habe in London viel über die Modeszene gelernt.
Dort kombinierte man Ha arschneiden mit Shows, mit Choreografie und Styling. Für mich war
Zürich dann anfänglich wie eine kalte Dusche, das war alles sehr brav. Und ich war für die
hiesigen Coiffeure zu krass. Beispiel: Ich habe einem Typen mit langem Afro an einer Show
in 30 Sekunden Streifen rausrasiert. Das war vielen zu hart.

Für mich waren aber die Wurzeln, die ich in der Jugendbewegung und in den Fashion-
Subkulturen Londons hatte, immer etwas Entscheidendes. Früher passten die Szenen, zu
denen ich gehörte, nicht so richtig zusammen. Ich war gleichzeitig ein Teil der radikalen
Jugendbewegung und ein Fashiontussi, verkehrte im AJZ und machte eine Coiffeurlehre.
Das hat aber auf Dauer gesehen sehr gut zusammengepasst. Und für mich gehören diese
Wurzeln zur Unternehmenskultur. Wir arbeiten bei mad nach klar definierten ethischen
Grundsätzen. Insbesondere im Fragen der Ökologie ist mad einer der innovativsten Salons.
Ich mache das, weil mir das wichtig ist. Und es ist auch für ein Unternehmen gut. Öko ist
schick. Ohne dass man das an die grosse Glocke hänge muss. Wir drängen niemandem
unsere Meinung auf, jeder kann sein wie er will. Höchsten wenn wir einen Kunden haben,
der meint, er müsse seinen rassistischen Senf hinausposaunen, reagieren wir, so jemand
fliegt bei uns raus. Obwohl mad viel mit der Szene zu tun hat, haben wir Kunden aus sehr
verschiedenen Alterssegmenten. Das war mir immer wichtig, ich mag die gute
Durchmischung. Und wenn ich an meinen Mitbewerber Valentino denke, dem bin ich
unendlich dankbar, für gewisse Kunden die er bedient, und die wir deshalb nicht nehmen
müssen.
Ha arschneiden spricht die feminine Seite an, man überlegt, wie jemand gut aus- sieht. Wie
mache ich die Person attraktiver? Und lasse sie trotzdem sich selber sein? Sehr viele Leute
jammern ja furchtbar über ihre Ha are, die zu dünn und zu spröde und dies und das sind.
Man kann aber aus jedem Typ etwas machen. Wir sagen dem intern „cut the drama“.
Wenn ich in den Ausgang gehe und jemandem, der mich nicht kennt, sage, ich sei Coiffeur,
dann glauben das 90 Prozent nicht. Ich sehe nicht wie ein Coiffeur aus, ich mache es
einfach gern. Mit der Körperfülle, mit der ich gesegnet bin, sähe es lächerlich aus, liefe ich in
Designerklamotten rum. Und mehr als Marketing durch meine eigene Person hat mich
immer die Idee fasziniert, Branding und Markenaufbau durch den Schnitt hinzukriegen. Ich
habe davon geträumt, dass jeder Schnitt wie ein Armani-Anzug ein Träger der Marke mad
wäre. Es gab einen Erfolg in diese Richtung, als wir den Leuten Streifen in die kurzen Ha ar
schnitten. Erstens gab das der Frisur eine Struktur und sah besser aus. Zweitens aber
wussten die meisten Leute sofort, dass diese Frisur von mad kam. Sie erkannten das, ohne
genau zu wissen, warum. Was wir auch lange als einzige machten, das waren wirklich
kurze Ha arschnitte, Millimeterha are, das gab’s nur bei uns. Neben der Frisur als
Markenträger, funktionierte Streetmarketing auch über die Veranstaltungen, die ich
organisiert habe. Es ist entscheidend, dass man in Gespräch bleibt. Ausserdem entspricht
das meinem Naturell. Ich bin ein Macher. Als Konsument langweile ich mich. Von daher bin
ich eigentlich ein Theoretiker. Ich denke sehr viel darüber nach, was einen Konsumenten
glücklich macht. Ohne je selber richtig in seinen Schuhen zu stecken. Mit 14 Jahren habe ich
begonnen, Parties zu organisieren. Mit Gogo zusammen hatten wir bei House of Love am
Schluss jeweils 3500 Leute. Mir liegt das, weil ich gerne organisiere und weil ich jeden Job
genau kenne. Ich habe alles mindestens einmal selber gemacht, ich habe Flyer verteilt, ich
war Roadie, habe gemodelt, Technik betreut undundund. Man kann es auch übertreiben: Es
gab ein Jahr, da war mad an 28 Modeschauen präsent. Es gab Leute, die fanden,
hueresiech, kann man auch mal etwas sehen, an dem ihr nicht beteiligt seid?
In London habe ich gelernt, dass die Leute die man kennt, ein Kapital sind. Und ich bin von
all meinen Engagements her sehr gut vernetzt. Heute sage ich aber acht von zehn Anfragen
ab. Man muss mir sehr viel bieten, damit ich Sonntags auf meine Familie verzichte. Ich will
heute Spass. Ökonomisch gesehen ist es widersinnig, wenn ich am Stuhl stehe und Ha are
schneide. Aber ich mache es einfach gerne und deshalb leiste ich mir das. Mein Ziel ist es,
fünf Salons zu haben, die je 2500 Franken pro Monat für mich abwerfen. Dann ist für mich
und meine Familie alles im Trockenen. Mich hat der Tod meines Vaters markiert. Ich weiss,
dass ich nicht ewig alle Probleme einfach mit meiner Energie lösen kann. Finanziell bin ich
konservativ. Der Laden an der Zweierstasse, den ich 1992 eröffnet habe, hat etwa eine
Investition von einer Viertelmillion gebraucht. Dazu kamen noch die ganzen Folgekosten. Ich
rechne mit einer Kapitalrendite von etwa fünf Prozent und habe im Ganzen etwa eine
Dreiviertel Million Schulden zurückgezahlt.

Mein zweiter Laden, das Kalkül, das einen Salonmit einer Bar kombiniert war nach zwei Jahren amortisiert. Ich weiss über meine Zahlen genau Bescheid und zahle mir einen Lohn. Ohne präzises Budget hast Du keine Ahnung, was dich wie viel kostet. Dann lässt sich auch nicht sinnvoll weiterplanen.

Verloren ist ein Laden, wenn der Geschäftsführer in den Ausgang geht und vorher noch ein, zwei Lappen aus der Kasse nimmt. Bei uns gibt’s eine Liquiditätsflussrechnung. Ich weiss auch, wie
widersinnig es ist, wenn man Kapital im Warenlager bindet. Wenn ein Hersteller seine
Produkte bei uns verkaufen will, dann muss er sie selber im Gestell präsentieren, verkauft
auf sein Risiko und nimmt wieder mit, was nicht geht. Pro Jahr mache ich mit meinen beiden
Geschäften rund 800'000 Franken Umsatz. Von zwei eingenommen Franken reinvestiere ich
einen. Das Wesen eines Unternehmers macht aus, dass er sich ständig fragt: Was kann ich
jetzt noch machen?

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